Ich werde bei Durchsicht eines Romans panisch


(aus: KR / Kleiner Roman über die Angst)

Ich arbeite (wie mir scheint, mit leichter Hand) an dem Roman über Sandor Szombati. Ich habe mich in den Hof gesetzt, um gleichzeitig die untergehende, noch wärmende Spätsommersonne zu genießen. Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.
„Ah!“, ich strecke mich.
Der Roman ist so gut wie beendet.
Ich sehe ihn durch – nun, ein einzelner Rechtschreibfehler fällt mir auf, aber das ist kein Grund, unruhig zu werden. Ich eile in die Wohnung hinauf und korrigiere den Fehler (mit Tipp-Ex).
Als ich wieder unten sitze, finde ich auf der nächsten Seite dasselbe Wort erneut falsch geschrieben. Es ist (bezeichnenderweise, denke ich) das Wort `Hochmut´. Immer wieder findet es sich – ich blättere vor – als „Hichmut“ geschrieben. Natürlich, i und o liegen auf der Tastatur dicht nebeneinander ...
Ich eile wieder hinauf, greife zum Tipp-Ex.
„Besser, ich bleibe hier oben“, murmel ich. (Schade – nun sitze ich wieder am Schreibtisch ...)
„Hochmut“, trotzdem kein Zufall, oder?
„Daran darfst du jetzt nicht denken!“, rufe ich aus. „Überhaupt ist es notwendig, die Gedanken unter Kontrolle zu haben.“
Ich entdecke, dass ich einen Absatz zweimal abgeschrieben habe. Unaufmerksamkeiten! (Aber eigentlich unerklärlich.)
Ich überlege (über eine alte Schwachstelle im zweiten Teil stolpernd), die Reihenfolge der Szenen zu ändern. Der Grund: ihre Gewichtung, ihre innere Energie. Aber das ist eine sehr subjektive Kategorie! Vielleicht verderbe ich grad durch die Veränderung alles. „Alles ...“ Ich bewahre mir einen Rest gesunden Menschenverstand. „An so einer Lappalie kann nun nicht alles hängen!“ Eben will ich, weil es mir nun einmal so gefällt, die Umgruppierung vornehmen – das stellt ja keinen Eingriff in den Text dar, nur ein paar Blätter müssen in andere Reihenfolge gebracht werden! – , da fällt mir (jäh!) ein: Das ist ja aus inhaltlichen Gründen ganz unmöglich! „Sandor zwingt dich, unter Anwendung perfider psychischer Gewalt, in das Flugzeug einzusteigen. Aber erst in der anschließenden Szene beobachtest du durchs Fenster des Hotels, wie er dem rigiden Metzgermeister Öllerich das Flugzeug abkauft?“
„Eine Rückblende.“
„Ach so ...“, spotte ich (mit Bitternis im Herzen).
„Der Verkauf des Flugzeugs ist nur ein Detail, dramaturgisch wichtig, aber in der Szene, in der es ja sonst vorrangig um den Drogenkonsum geht, nur eine Randnotiz. Ich füge sie woanders ein!“
Umschreiben ...
„Dazu ist keine Zeit. Begreifst du nicht! Es ist keine Zeit mehr ...“
Die Hitze springt mir in den Nacken. „Es will nicht gelingen“, flüstert es, „es will nicht gelingen!“
Ich lese, in Panik, weiter.
„Aber der Text ist ja ganz schlecht!“, rufe ich laut aus, als hätte mir jemand eine faule Banane verkaufen wollen. Unter den flatternden Augenlidern werden meine Augen starr – sie fixieren das Fensterkreuz. „Ich bin ja steif wie ein Brett“, flüstere ich.
„Was tu ich nur?“
Ein seltsamer Ton ringt sich mir aus der Kehle.
„Rucke di gu – Blut ist im Schuh ...“
Gleich birst mein Hirn ...
Ich habe doch alles richtig gemacht, alle Regeln beachtet – ich habe mich nie gehen lassen. Ich kann begründen, was ich tu ...
„Nennst du das Stilsicherheit?“
Irgendwas lacht in mir; ich nutze einen Stich im Solar Plexus, um aufzuspringen. Ich stampfe mit beiden Füßen auf. Tausend Augen sitzen mir auf der Haut.
„Die Konkurrenz schläft nicht! Buchmesse ...“
Die Lampe fällt von der Decke herunter. Das tut sie im richtigen Moment. Ich überprüfe (noch zitternd) die Lage (meine Kenntnisse sind gering). Ich verlasse das Haus, ich gehe (mit stumpfer, roboterhafter Entschiedenheit) geradeaus, ich besorge Haken, Kabel, Schrauben. Ich werde den Schaden beheben, koste es den Rest des Tags. Ich kaufe mir Schaltpläne, ich entwickele die Idee für ein Beleuchtungssystem – die Wohnung ist alt, aber das Beleuchtungssystem wird neu sein. Ich werde Gwendolin beeindrucken, aber das ist Nebensache. Ich werde Berechnungen anstellen (und das Radio wird laufen) – Glaubt Ihr denn, der Mensch griffe nicht instinktiv zu dem, was ihm hilft?
„Du darfst jetzt kein Mitleid haben“, sage ich zu Gwendolin. „Stärke mich durch eine erbarmungslose Forderung. Was auch immer es sei!“
Ermanne dich!

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