Schreib so viel du kannst, dann hast du in der Not.
Das Schreiben ist die Konstante in meinem Leben. Was auch sonst passiert ist, ich habe (instinktiv) immer darauf geachtet, dass dieses Feld nicht bedroht ist, d.h. dass dafür immer Zeit bleibt.
Ich schreibe, also bin ich. Das ist so. Wer weiß, warum!
Aber natürlich ist es auch ein etwas klösterliches Tun. Hätte ich nur geschrieben, sonst nichts, ich wäre irgendwann entzwei gegangen (vermute ich). Also: Bewegung tut not. Etwas erleben – und es dann wieder in Texte überführen. (Ist ja klar.)
Texte, die sich – das ist ähnlich wie bei meiner Theaterarbeit – vom realistischen Erzählen entfernen, die surreal sind, fragmentarisch, fremd. Oft haben sie etwas Grotesk-Komisches. Ich schreibe aus (offenen oder halb vernarbten) Wunden heraus. Das ja. Aber die Wunden sind in den Texten anwesend, wie sie es in Träumen sind. Nicht immer explizit. Verschoben, verdichtet, verzerrt. Was mich sehr beschäftigt: die jähe Kraft von Emotionen. Ich frage mich immer, wie ich Emotionen ein begeistertes Denkmal setzen kann, wie sie im Text leibhaftig anwesend sein können.
2010 wurde ich nach Klagenfurt eingeladen, zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.
Sehr motivierend, natürlich.
Eine Neuentdeckung: Öffentliches Schreiben:
Bei den werktagen münster 2010 habe ich es in der Stadthausgalerie zum ersten Mal erprobt: Ich schreibe, und was ich schreibe, wird mit Hilfe eines Beamers an die Wand geworfen. Textentwicklung, Stockung, Umschreiben - alles wird transparent. Und das Mikro vor der Nase überträgt das Murren mit mir selbst gleich noch mit.
Bei dem Gießener "WG-Festival" im Juni 2011 habe ich das Experiment wiederholt, diesmal direkt auf der Straße ...
Hier ein Ausschnitt aus dem Text, der entstand:
"Ja, meine Mutter ...
Ich liebe sie. (Schrieb ich schon.) Oder: ich habe sie geliebt. Schwer zu sagen, was das eigentlich heißen soll: die Mutter lieben. Als kleines Kind habe ich sie nicht nur geliebt, sondern heiß geliebt. Ich meine: mit allem Drum und Dran (Drum und Dran = Sexualität). Also, es gab keinen Inzest. Nicht von ihrer Seite. Von meiner schon. Sie war einfach unheimlich schön. Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke. Selbst hier, unter diesem befuckten Regenschirm. Aber naturgemäß ist nichts draus geworden, aus dieser Liebe. Heirat war nicht möglich, da sie schon verheiratet war (und der Mann noch lebte). Ich selbst war wahrscheinlich auch nicht wirklich treu. Schon meine Schwester brachte die Sache etwas durcheinander, denn auch die habe ich geliebt - wenn auch nicht ganz so heiß. Außerdem stellte ich irgendwann ganz allgemein fest: Frauen überall. Und da ich bei meinen Versuchen, auf sie zuzugehen, erfahren musste, dass meine Mutter selbiges nicht gern sah ... Na ja, den Rest könnt Ihr euch vorstellen, das wird eine komplizierte Geschichte, da bräuchte ich mehr Zeit, Ruhe, Raum (endlich auch mal was zu trinken!). Aber ihr merkt: es läuft auf Eifersucht, Begrenzung, störrisches Alleinsein und solche (allgemein bekannten männlichen) Probleme hinaus. Tut mir leid, der letzte Absatz war nicht so besonders. Aber es kann nicht immer gut laufen. Vor allem wenn man schreibt, ohne zu korrigieren. Und das tue ich ja hier, wie ihr merkt.
In dem Zusammenhang fällt mir dann wieder der Handke ein. Ein Lieblingsopfer meines Spotts. Der behauptet ja, am Tag ca. einen Satz zu schreiben. Der ist dann natürlich perfekt, oder das, was er darunter versteht. Wenn der hier säße, wäre sicher ein zahlreicheres Publikum da, aber was für eine Qual hätte dieses Publikum durchzustehen: alle vier Stunden ein Satz. Und dazwischen: das Bild des gemarterten Peter Handke. Aber wahrscheinlich wär´s tatsächlich DAS EVENT GIESSENS.
Ich mach jetzt eine Pause (von ca. 2 Minuten). Bitte geht weiter. Ich möchte neues Publikum.
„Der aufgeklärte Mensch weiß, dass er nicht der ist, der er sein könnte. Er ist nicht so schön, gesund, erfolgreich, wie er sein könnte. Er kann – wenn er will – die Jagd nach sich selbst, nach dem schönen, gesunden, erfolgreichen Menschen, der er in Wahrheit ist, aufnehmen. Indem er eine Psychotherapie beginnt, indem er sich seiner (traumatischen) Vergangenheit stellt, indem er sich bei einer Ostheopatin auf den Tisch legt und sich behandeln lässt. Indem er sich durch Kreativität heilt, schreibt, modelliert, fotografiert – oder eben: indem er läuft! ...
„Werde, der du bist“, sagt der moderne Mensch.
„Du bist´s schon“, sagt der ewig gestrige.
Schreibform: Laufprotokolle.
Genre: Philosophie, Psychologie, Kultursoziologie, Arbeitslosen- und Liebesroman.
Nichtsatirisch, auch wenn man´s jetzt erwarten würde!
aus: Vater gibt seinen Weinhandel auf
Buchpräsentation im Studio des Stadttheaters Gießen
- Gas City (Ausschnitt)
Radikale Autobiografie, d.h.: Nichts ist, wie es war, alles war, wie es sein sollte, und: was ihr hier lest, stimmt oder stimmt nicht. Gas City USA by CFries